Gehirnforschung

Hierzu zwei ganz unterschiedliche Geschichten in Kurzform:

Eines Morgens wollen Sie nicht wie sonst direkt in Ihr Büro fahren, sondern auf dem Weg dorthin einen Bekannten besuchen. Sie wissen genau, wo er wohnt und wo Sie von Ihrem üblichen Weg abbiegen müssen. Trotzdem fahren Sie an der Abzweigung vorbei und merken dies erst, kurz bevor Sie im Büro angekommen sind.

Zwei Zen-Mönche beabsichtigten, einen Fluss zu überqueren. Am Ufer treffen sie eine junge Frau, die sich vor dem reißenden Wasser fürchtet. So hebt der eine Mönch sie auf seine Schulter und trägt sie hinüber. Als sie nach mehreren Stunden das Kloster erreicht hatten, sagte der Andere erbost: “Du weißt, dass wir als buddhistische Mönche Frauen nicht berühren dürfen. Doch Du hast diese Frau sogar auf Deinen Schultern getragen.” Da lachte der erste Mönch und sprach: “Ja das habe ich. Aber ich habe sie am Fluss abgesetzt, viele Meilen weit zurück. Trägst Du sie etwa immer noch in Dir herum?“

Was haben diese Geschichten gemeinsam?

Beide Male hat die Automatik unseres Gehirns “zugeschlagen”. Im ersten Fall hat sie, ohne dass es uns bewusst gewesen wäre, dafür gesorgt, dass wir etwas aus Gewohnheit getan haben, was wir aktuell gar nicht wollten. Der zweite Fall zeigt eine automatisierte Konditionierung, die selbst dann nicht mehr in Frage gestellt werden kann, wenn sie ihren Sinn verloren hat.

Die neuere Gehirnforschung zeigt, dass unser Gehirn so schnell wie möglich auf Automatik schaltet. Dies ist sinnvoll, weil bewusste Wahrnehmung viel zu langsam wäre, um unser Überleben zu sichern. Hinzu kommt, dass das Gehirn bei automatischen Handlungen wesentlich weniger Energie verbraucht.

Wie vor allem das zweite Beispiel zeigt, können jedoch erhebliche Probleme entstehen, wenn die Automatisierung unser soziales Verhalten betrifft. Unterhalb unseres Bewusstseins ist eine Konditionierung aktiv, die wie ein Filter wirkt, der die Sicht auf uns selbst und unsere Mitmenschen verengt.

Die Geschichte der Zen-Mönche zeigt als weiteren Aspekt die Wirkung der Spiegelneuronen. Die erst vor einigen Jahren entdeckten Gehirnzellen haben die Aufgabe, nachzuahmen was wir bei Anderen wahrnehmen, um so unser Sozialverhalten zu unterstützen. Ohne dass wir es bemerken passen wir uns an unsere unmittelbare Umgebung an und sind so durch eine weitere Art von Konditionierung geprägt.

Alle Automatismen haben die Eigenschaft, dass sie nur sehr schwer zugänglich sind. Haben wir sie dennoch erkannt und versuchen auf sie einzuwirken, erreichen wir meist das Gegenteil. Bei echtem oder vermeintlichem Widerstand schützen sich die Automatismen dadurch, dass sie sich wieder in das Unbewusste zurückziehen.

Manfred Kritzler
coaching im dialog
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